von Julian Voth
Dass dem Kaiser, dem König oder dem Fürsten unter gewissen Umständen das Recht zukommt, den Krieg zu erklären, wurde von niemandem bestritten. Wenn der Fürst ein Christ ist, muss er als Christ (d.h. auf christliche Art und Weise) Krieg führen bzw. im Allgemeinen all seine weltlichen Aufgaben als Christ verrichten. Tut er dies, verdient er womöglich die Belobigung der Kirche. Dennoch bleibt wahr, dass er den Krieg nicht führt, insofern er Christ und Angehöriger des Reiches Gottes, sondern insofern er Fürst eines irdischen Reiches ist.
Im Falle des Soldatenstandes gab es ein gewisses Zögern. Als Glied der Kirche kann der Soldat kein Blut vergießen. Und doch ist es genau das, was er kraft seines Standes tun muss. Dies erklärt den merkwürdigen Brauch, von dem die Pönitentialbücher zeugten, der jedoch mit dem Klarwerden der christlichen Kriegsethik verschwand: Das Auferlegen einer Buße für das Töten in der Schlacht sowie das Verbot für öffentliche Büßer, Waffen zu tragen und Kriegsdienst zu leisten.
Der dunkle Schatten über dem Soldatenberuf löste sich schrittweise auf. Die Schwächung der königlichen Gewalt und die Ausbildung des Feudalsystems zwangen die Kirche dazu, sofern sie den Adel nicht seiner eigenen Anarchie überlassen wollte, ihm nicht nur seine allgemeinen Christenpflichten ins Gedächtnis zu rufen, sondern ihm auch die Zwecke aufzuweisen, für die ihm zu kämpfen erlaubt war, ja, für die er sogar kämpfen musste. Eine christliche Kriegsethik im sakralen Ordo begann sich zu entwickeln. Zu den Modellen der monastischen und klerikalen Heiligkeit gesellte sich die Heiligkeit des Laien- und des Ritterstandes. Dies geschah jedoch langsam und mit Besonnenheit. Odo von Clunys Held, Gerald von Aurillac – genauso wie der des Abts von Fleury, der angelsächsische König Edmund – triumphierten, ohne Blut zu vergießen.
Seit langer Zeit schon wurden Soldaten von den Gläubigen als Heilige verehrt. Jene erreichten die Heiligkeit aber gewissermaßen an der Peripherie ihres Berufsstands, durch das Martyrium wie die hll. Sebastian, Moritz und Georg. Oder sie schworen dem Soldatendienst dieser Welt ab, um Streiter Gottes zu werden, wie der hl. Martin.
Wenn wir den ersten Ritter suchen, der die Heiligkeit in der Ausübung seines Berufes erreichte, dann befinden wir uns bereits im 11. Jahrhundert. Hier war es Erlembald, der militärische Anführer der Pataria von Mailand, und schon geraten wir in den Dunstkreis des heiligen Krieges: Erlembald nämlich erhielt das Mandat des Papstes, um der Gewalt des konkubinistischen und simonistischen Klerus mit Gewalt zu begegnen.
Von nun an war klar, dass die Berufung zu den Waffen zur Heiligkeit führen konnte. Schon vor dem I. Kreuzzug rief der Liber de Vita Christiana, der erste noch vorhandene Ritterkodex, selbige dazu auf, für die Armen, die Witwen und Waisen, die Verteidigung des Vaterlands und für die Niederwerfung der Häretiker und Schismatiker zu kämpfen.
Die große Reformbewegung von Cluny beschränkte sich nicht nur auf Kleriker, sondern dehnte sich auch auf die Laien aus. Und genauso wie nach Konstantin der Versuch unternommen wurde, den Stand des Fürsten zu christianisieren, so machte sich die Institution des Rittertums auf, um den Soldatenstand zu taufen.
Geistlichen war es jedoch immer noch verboten, Waffen zu führen. Aber die Bischöfe nahmen weltliche Verantwortungen an, und folglich war es schwierig, sie aus Kriegen herauszuhalten. In ihrer Kapazität als weltliche Fürsten wurden sie in Konflikte verwickelt. Als die Bewegung des großen Gottesfriedens organisiert wurde, um den Krieg ganz aus der Christenheit zu verbannen, hoben die Bischöfe Truppen aus, um gegen Ritter zu kämpfen, die keinen Frieden wollten. Dann gab es auch solche, wie zum Beispiel in Mailand, die sich an der Spitze der Stadtmiliz wiederfanden. Fulbert von Chartres nahm Anstoß daran, doch sein Zeitgenosse, Bernhard von Angers, der die Verteidigung des sakralen Ordos bedachte, ging so weit, ein Loblied auf einen Prior zu verfassen, der als Anführer seiner Mönche eine Bande Übeltäter zurückschlug und solcherart die geistlichen Ritterorden vorbildete.[1]
[1] Aus späterer Sicht lässt sich differenzieren, dass der Religiose, der sich im Fall eines ungerechten Angriffs nicht verteidigt, handelt, insofern er Christ bzw. Religioser ist. Wenn er sich jedoch verteidigt, handelt er als Christ auf die Weise, wie ein Christ handeln sollte, aber insofern er ein Mensch ist und in seiner Kapazität als Mensch. So taten es z.B. die Jesuiten, die Macao 1621 gegen die Holländer verteidigten.