von Julian Voth
Am 27. November 1095, am zehnten Tag des Konzils von Clermont, rief Urban II. die Christenheit zu den Waffen. Es war der Ruf des Papstes zur Verteidigung des Glaubens, der durch die neuerliche muselmanische Invasion bedroht war, der Ruf des wahren Erbens der Römischen Kaiser zur Verteidigung des Abendlandes, der Ruf der höchsten europäischen Autorität zum Schutze Europas vor den erobernden Asiaten, den Erben Attilas und den Vorläufern Mehmeds II.
René Grousset
Die Pflicht der Kreuzfahrer – versinnbildlicht in der Befreiung des Heiligen Landes, der irdischen Heimat des himmlischen Gottes, das, so hoffte man, Grenzmarke der Christenheit zu Asien hin zu werden – war nichts anderen als die Verteidigung der weltlichen Ordnung des Abendlandes, der Christenheit als Ganzes, dessen Zusammenbruch so verheerend wäre für das Reich Gottes, die Kirche. Obgleich vom Islam gefährlich in die Zange genommen, verbrachte sie ihre Zeit törichterweise damit, ihr eigenes Blut in Fehden und Tournieren zu vergießen, besann sich schließlich jedoch durch das moralische Prestige des Papsttums und sein Rufen auf eine lebhafte Solidarität zurück. Die Tatsache, dass in diesem Moment des tausendjährigen Kampfes zwischen Asien und Europa, zwischen Morgenland und Abendland die Kirche ganz auf Seiten des Westens stand, gab ihm einen privilegierten Charakter und eine Wichtigkeit, die der des alten Judenvolkes gleicht, das niemand angreifen konnte, ohne sich gleichsam gegen Gott selbst zu stellen.
Natürlich ist der Vergleich zunächst nur ein oberflächlicher. Wo die Offenbarung des Alten Testaments, durch göttliches Gesetz, allein für das jüdische Volk bestimmt war, ist die des Neuen Testaments durch Gottes Anordnung an alle Völker gerichtet, das Kreuz soll seine Arme sowohl über das Abend- als auch über das Morgenland ausbreiten. Es ist jedoch wahr, dass bezüglich der materiellen Grundlagen das Reich Gottes eng von der gesellschaftlichen Organisation des Westens abhängig war. Die Verbindung zwischen dem Zeitlichen und dem Geistlichen war offensichtlicher, da viele Bischöfe auch weltliche Fürsten waren und sie, da sie nicht selbst kämpften, ihre Untertanen auf das Schlachtfeld begleiteten. Diese Tatsachen könnten leichthin die Illusion erzeugen, dass die Kirche sich inmitten der Schlacht befand. Aber dem war nicht so. Die Kirche vergießt kein Blut. Die Kreuzzüge waren das unmittelbare Wirken der weltlichen Mächte der Christenheit und des Papstes als deren Schirmherr.
In der alten Welt konnten geistliche und weltliche Fürsten aus rein weltlichen Anliegen zu den Waffen greifen. Hier ist allein die Lehre vom gerechten Krieg von Bedeutung, die wir hier an dieser Stelle nicht weiter ausführen können.[1] Dies bewegt sich lediglich auf der weltlichen Ebene.
Aber ein Papst kann in zweifacher Weise als Kriegsherr auftreten, und das im Verbund mit geistlichen Anliegen. Zum Ersten als Verteidiger des Kirchenstaates. Auch hier spielt das weltliche Anliegen eine Rolle, wie etwa wenn ein Fürstbischof seine Lande verteidigt. Aber da der Kirchenstaat eine wesentliche Rolle in der Bewahrung der absoluten Freiheit der apostolischen Autorität spielt, erhält er eine spirituelle Dimension. Von dieser Art waren die päpstlichen Kriege gegen die ersten Sarazenen, die den Tiber hinauffuhren.
Zum Zweiten als Schirmherr und Verteidiger der Christenheit. Hierbei handelt es sich immer noch um politische Kriege, aber sie sind auf den Erhalt der gesellschaftlichen Ordnung ausgerichtet, insofern sie sakral ist – die Verleihung des Bürgerrechts im alten Abendland ging nämlich mit der Taufe einher. Auf diese Weise erhalten diese Kriege auch einen christlichen und geistlichen Charakter. Von dieser Art waren die großen Kreuzzüge gegen die Invasion der Muselmanen.
Schließlich ließe sich auch noch eine dritte Form ausmachen, nämlich eine Mischform im Falle von Schismata innerhalb der Christenheit, die aber für die gegenwärtige Betrachtung keine Rolle spielt.
Es sollte deutlich sein, dass gewisse Kriege sich durch ihre geistliche Dimension von gewöhnlichen gerechten Kriegen unterschieden. Und aufgrund dieser Dimension können derartige Kriege als „heilige Kriege“ bezeichnet werden. Anders gesagt: Heilige Kriege sind Kriege, die nicht nur von der Kirche ermutigt werden, sondern auch mit ihren geistlichen Schätzen belohnt werden. Sie sind jedoch nicht durch die kanonische Macht der Kirche unternommen und geführt, sondern durch die außer-kanonische Gewalt des Papstes, der als Haupt des Kirchenstaates oder als Schirmherr der Christenheit agiert.
Damit erreichte die Ethik vom heiligen Krieg, die ihren Anfang womöglich bei Augustinus nahm, sich bei Gregor entwickelte und durch das Aufkommen der christlichen Ritterschaft und die Lehre Bernhards definiert hat, ihre deutlichste und endgültigste Form.