von Julian Voth
Die mittelalterliche Gedankenwelt schwankte zwischen zwei Extremen: Das eine verbot dem Reich Gottes jeden Krieg, während das andere ihn den Reichen der Welt erlaubt. Ja, er ist aufgrund der gefallenen Menschennatur sogar unausweichlich. Der Kampf ist überall, aber hier ist er geistlich (militia spiritualis) und dort fleischlich (militia saecularis).
Die Schwierigkeit liegt darin, die Demarkationslinie zwischen den beiden Zonen zu ziehen. Diese Linie ist mit derjenigen identisch, die die kanonische oder geistliche Gewalt von der politischen oder weltlichen Gewalt trennt nicht jedoch mit der Linie, die den Kleriker von den Laien scheidet. Denn Kleriker konnten damals rechtmäßig außer-kanonische Vollmachten genießen.
Es gibt freilich keine Stelle im Evangelium, die den Papst als Stellvertreter Christi und Nachfolger Petri autorisiert, die Verantwortung eines Staates und folglich auch den Gebrauch des Schwertes auf sich zu nehmen. Aber genauso wenig gibt es eine Stelle, die ihm verbietet, neben seiner geistlichen Gewalt eine außer-kanonische Gewalt weltlicher Natur anzunehmen, sollte das Gemeinwohl dies zwingend erfordern.
In der christlich-abendländischen Gesellschaft sind diese Interventionen des Papstes in weltliche Angelegenheit vollkommen berechtigt. Tatsächlich war der Papst gezwungen, die Regierung Roms zu übernehmen, um die Unabhängigkeit seiner apostolischen Gewalt sicherzustellen. Und um das Gemeinwohl der abendländischen Christenheit sicherzustellen, ein Gemeinwohl, das wesentlich politischer Natur ist, aber das Bekenntnis des katholischen Glaubens und die sichtbare Kirchenmitgliedschaft voraussetzt, sah er sich genötigt, die Kreuzzugsbewegung zu unterstützen.
Wie lässt sich aber der Kreuzzug theologisch rechtfertigen?
Die Päpste, nur so kann ein Kirchenhistoriker mit Sinn für die Übernatur sprechen, handelten durch die Inspiration des hl. Geistes und hatten ein lebendiges Gespür für die neue Verantwortung, die in diesem Moment in der Geschichte auf ihnen lastete. Sie handelten entsprechend. Die theoretischen Erklärungen kamen später – wie so oft in der Kirchengeschichte.
Es gibt grundsätzlich drei Erklärungsmöglichkeiten.
1. Die Kreuzzugsführer handelten als reine Instrumente der kanonischen Gewalt, also der Kirche. So wären die Kreuzzüge unmittelbar eine Angelegenheit der Kirche, sie wäre verantwortlich für das vergossene Blut. Dieses Argument ist jedoch kaum mit der Lehre Augustins und des hl. Thomas vereinbar, sie unterscheidet zu wenig zwischen dem, was des Kaisers ist, und dem, was Gottes ist.
2. Die Kreuzzugsführer handelten als Hauptursachen. Die Kirche intervenierte nur, um sie an ihre weltlichen Aufgaben zu erinnern. Die Kreuzzüge sind eine unmittelbar weltliche Angelegenheit, sie sind Sache der Reiche dieser Welt. Ihr unmittelbares Ziel ist die materielle Sicherheit des christlichen Abendlandes. Aber ihre Verteidigung des christlichen Westens, des Ordos, der die Christenheit genannt wird – was der Kirche als solcher verboten ist – könnte zu einem Gebot werden, das die Kirchen den christlichen Fürsten predigt und das sie mit geistlichen Wohltaten aus dem Kirchenschatz versieht. Denn dieses Werk ist nicht nur rechtmäßig, sondern bewahrt schützend den Glauben unzähliger Seelen.
Die Kirche verwendet ihre kanonische Gewalt, um den Kreuzzug zu predigen, aber sie nimmt nicht direkt die Verantwortung auf sich. Diese Erklärung ist theologisch stichfest. Wenn man an den Fall in unserer modernen, westlich-säkularen Welt denkt, die sich vor einer Bedrohung schützen muss – dann ist es vorstellbar, dass sich der Papst auf eine Seite stellt und den Christen auf der anderen Seite verbietet, zu den Waffen zu greifen.
Die Kreuzzüge waren jedoch mehr als das. Sie fanden in der Atmosphäre einer so ganz anderen Welt statt.
So kommen wir zu 3. Aufgrund des Versagens der kaiserlichen Gewalt war der Papst gezwungen, die Verantwortung für den Kreuzzug auf sich zu nehmen. Nicht als Vikar Christi oder als Oberhaupt der christlichen Religion, sondern als Beschützer der sakralen abendlichen Ordnung, der Christenheit. Er war dazu genötigt, aufgrund der geistlichen Werte zu handeln, die damals mit der politischen Ordnung verknüpft waren, Werte, die demzufolge durch politische Mittel verteidigt werden konnten und sollten.
Dergestalt geschah die päpstliche Intervention kraft der weltlichen außer-kanonischen Gewalt des Hl. Stuhls, er übte Autorität über die Fürsten als reine Instrumente für das Gemeinwohl der Christenheit aus. Für eine weltliche Gewalt war es keine Sünde, für einen gerechten Krieg, für gerechtes Blutvergießen verantwortlich zu sein. Es war sittlich gut und konnte durch die Tugend der Liebe verdienstlich werden. Aber es wäre eine Sünde für die Kirche, die siegen muss, indem sie bereit ist, wie Christus ihr eigenes Blut zu vergießen, nicht das der anderen. Was den weltlichen Reichen erlaubt ist, deren Zwecke und Mittel zeitlich sind, ist für das Reich Gottes ohne Zweifel nicht erlaubt, dessen Zwecke und Mittel geistlich sind.
Der Papst stand also dem Kreuzzug als Schirmherr der Christenheit vor – nicht als Nachfolger Petri. Er schützte die Christenheit, nicht die Kirche, und bediente sich dazu der weltlichen Fürsten.
Die Kreuzzüge können angemessenerweise als Kriege der Christenheit gegen den Islam bezeichnet werden. Und insofern sind sie heilige Kriege. Aber sie können kein Krieg des Christentums gegen den Islam sein, da das Christentum keine Kriege führt. Insofern kann der Begriff des hl. Krieges denjenigen nur wundern, der das Kreuzesmysterium betrachtet, das im Herzensgrund des Christentums seinen Platz hat und jeden Tag in der hl. Messe gegenwärtig wird.
Folglich greift das Reich Gottes niemals zu den Waffen und nimmt niemals die Verantwortung für Blutvergießen auf sich. Mohammed, das fleischgewordene Ideal des Islam, deklarierte das Prinzip des heiligen Krieges, des Dschihad, nachdem er dreizehn Jahre lang Demütigungen ertrug. Er versprach seinen Streitern das Paradies, nahm an dreißig Kriegszügen teil und führte selbst zehn Schlachten an. Aber Jesus Christus, in dem das Reich Gottes verkörpert ist, führte nicht nur keine Schlachten, sondern opferte sich selbst auf, bis zum Tod am Kreuz, ohne auch nur zu erlauben, dass er vom Schwerte verteidigt werde. Nicht, um den Gebrauch des Schwertes durch die weltlichen Autoritäten zu verurteilen, wie der hl. Paulus klar erkannte, sondern um vor aller Augen zu bezeugen, dass sein Reich nicht von dieser Welt ist. Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden kämpfen, dass ich den Juden nicht überantwortet würde; aber nun ist mein Reich nicht von hier. (Joh 18,36)