Vom Zeitgeist und anderen Verirrungen

Literatur fungiert als Seismograph der Gesellschaft – was uns bewegt, schlägt aus. Da verwundert es nicht, dass Texte außerhalb des medialen Mainstreams für so viel Furore sorgen: Denn nonkonformes Denken bewegt!

Dies ließ sich am letzten Samstagnachmittag bei einer Veranstaltung des Verlages Antaios auf der Frankfurter Buchmesse beobachten, als linksliberale Gesprächskultur (Pfiffe, Gegröle und hetzerische Parolen) die Antwort selbsternannter Antifaschisten auf die differenzierte Vorstellung einiger Bücher und deren unliebsamer Autoren wurde. In der altbekannten Antifa-Tradition vermummte Gesichter, von Sonnenbrillen verdeckte Augen, Trillerpfeifen statt wohldurchdachte, fundierte Argumente – von Dialog keine Spur. Trotz – oder vielleicht auch gerade wegen – der fehlenden Gesprächsbereitschaft wurde eines jedoch klar: nonkonformes Denken bewegt das nach seinem eigenen Verständnis linke Lager, und das nicht zu knapp. Die Stimmung kocht hoch, Dialogfähigkeit und die Bereitschaf dazu scheinen eine Utopie zu sein und doch verlangt das Leben, besonders der Alltag, daß man sich arrangiert.

Diese Ereignisse vermutlich schon vorhersehend, stellte Ellen Kositza mit der Präsentation des neuen Buches »Mit linken Leben« und im Gespräch mit dessen beiden Autoren Martin Lichtmesz und Caroline Sommerfeld passend die Frage „Wie lebt man nun mit Linken“? Vor dem Hintergrund, dass Sommerfeld eigentlich erst kürzlich das politische Lager wechselte und nun als Konservative mit ihrem Ehemann Prof. Dr. Helmut Lethen (Germanist und Kulturwissenschaftler), einem Linken lebt, erhält der neue Bestseller eine ausgesprochen reale Dimension, die den Text zur „Verhaltenslehre für den Alltag mit Linken“ erhebt. „Wir müssen mit Linken leben, und sie mit uns“ lautet der einleitende Satz des Vorworts. Doch wer meint, dass Lichtmesz und Sommerfeld Versöhnung und Kompromiss anstreben, liegt falsch. „Rechts ist richtig, links ist giftig“ bleibt der Leitsatz, unter dessen Flagge sich das Buch „als Manifest eines Paradigmenwechsels, einer tektonischen Verschiebung“ versteht und einen Ausblick auf „eine geistig freie Rechte der Zukunft“ gibt. »Mit linken Leben« bietet temperamentvolle Unterhaltung voller Witz und Schärfe, ist aber vor allem eine hochintellektuelle Auseinandersetzung mit den Etiketten „Rechts“ und „Links“ und konfrontiert furchtlos, mutig und voller Überzeugung die Problematik, wie mit Linken zu leben ist, wenn diese aufgrund ihres Anspruchs auf Recht und Norm nicht leben lassen.

Mit dem Phänomen des Labeling befasst sich auch Benedikt Kaiser in seiner theoretischen Abhandlung »Querfront«, in der er eine undogmatische Herangehensweise und eine Neujustierung politischer Theorie und Praxis fordert. Mit der historischen, politischen und ideellen Durchleuchtung und kritischen Betrachtung des uneinheitlich und nebulös verwendeten Begriffes der „Querfront“ fordert Kaiser geschickt politische Hegemonie und Dogmen heraus und zeigt die Deutungsmacht der vom Gegenlager verpassten Etikettierung auf. Eine lesenswerte, anspruchsvolle Lektüre für alle, die „den »Querfront«-Vorwurf als politische Waffe zur Stigmatisierung“ entlarven wollen.

Während »Mit Linken leben« und »Querfront« den Blick nach links richtet und das links-rechts-Machtgefälle untergraben, umkreist Nikolai Ostrowskis sowjetischer Klassiker »Wie der Stahl gehärtet wurde« in einer Übersetzung aus der Feder von Thomas Reschke vermögend eines Vorworts von Benedikt Kaiser die Frage, wie Linke mit sich selbst leben. Wie ein Leben mit und in einer Ideologie zu gestalten ist, die das Individuum lediglich auf ein funktionales Glied einer Kette reduziert, zeigt der Roman exemplarisch anhand der Hauptfigur des Pawel Kortschagin, Ostrowskis Alter Ego. Ideologietreue, der erbitterte Kampf für die Sache, Hingabe für das sowjetische Vaterland – Tugenden des jungen Pawel, der zum Musterfall eines selbstlosen Jungkommunisten stilisiert wird und sein Leben feierlich mit diesem Schwur besiegelt:

„Das Kostbarste, was der Mensch besitzt, ist das Leben. Es wird ihm nur einmal gegeben, und leben soll er so, daß nicht sinnlos vertane Jahre ihn schmerzen, daß nicht Scham um eine schäbige und kleinliche Vergangenheit ihn brennt und daß er im Sterben sagen kann: Mein ganzes Leben und all meine Kräfte habe ich hingegeben für das Schönste der Welt – den Kampf um die Befreiung der Menschheit. Und er soll sich beeilen mit dem Leben, kann doch eine dumme Krankheit oder irgendein tragischer Zufall es ihm nehmen.“


Nur wer linke Paradigmen, deren Widersprüche und Gefahren kennt und versteht, kann sich selbst positionieren und sich argumentativ stärken, wie auch Lichtmesz und Sommerfeld in ihrem neuen Bestseller schreiben: „Aber wer sind die »Linken«? Und wer sind wir, die »Rechten«? In ihren Augen und unseren? Was können wir sein, was sollen, was wollen wir sein?“

Die Vorfälle der Frankfurter Buchmesse haben erneut gezeigt, dass es nicht nur wichtig, sondern zwingend notwendig ist, sich mit diesen Fragen zu befassen. Das geschriebene Wort eröffnet damals wie heute das Tor zum Wissen und stellt eine Möglichkeit zum Dialog dar, die der vorherrschende gesellschaftliche „Diskurs“ unterdrückt.

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